„Ich kenne beide Sichtweisen, die der Athletin und die der Verbandsmitarbeiterin“
Sie war erfolgreiche Siebenkämpferin, Deutschlandstipendiatin und studierte Sportwissenschaften an der Ruhr-Universität Bochum. Heute arbeitet Felicitas Berger, die von Geburt an taub ist, für den Deutschen Gehörlosen-Sportverband. Im Interview erzählt sie, wie der Leistungssport sie prägte und warum sie sich heute doppelt über Medaillengewinne freut.
Sie war erfolgreiche Siebenkämpferin, Deutschlandstipendiatin und studierte Sportwissenschaften an der Ruhr-Universität Bochum. Heute arbeitet Felicitas Berger, die von Geburt an taub ist, für den Deutschen Gehörlosen-Sportverband. Im Interview erzählt sie, wie der Leistungssport sie prägte und warum sie sich heute doppelt über Medaillengewinne freut.
Felicitas Berger, Sie studierten Sportwissenschaften an der Ruhr-Universität Bochum. Wie ging es nach dem Studium für Sie weiter?
Zwei Tage nach Abgabe meiner Masterarbeit bin ich Anfang Mai 2019 beim Deutschen Gehörlosen-Sportverband eingestiegen. Meine Arbeit dort als Projektleiterin für „Gebärdensprache im Sport“ hatte einen engen Bezug zum Thema Inklusion. Noch vor Beginn der Corona-Pandemie wechselte ich Anfang 2020 ins Ressort Leistungssport. Damit kann ich mich total gut identifizieren. Denn ich komme aus dem Gehörlosen-Leistungssport, bin in der Community vernetzt und beherrsche sowohl die Gebärden- als auch die Lautsprache
Was hat Ihnen geholfen, beruflich Ihren Weg zu gehen?
Die wichtigen Skills, die ich dank des jahrelangen Leistungssports erworben habe: Zielstrebigkeit, Ehrgeiz und Durchhaltevermögen, aber auch der Umgang mit schwierigen Situationen und Niederlagen, wenn es mal nicht gut läuft. Ich habe schon früh für mich festgestellt, dass ich im deutschen Leistungs- und Spitzensport und eng mit unseren Spartenleitungen und dem Trainerstab zusammenarbeiten möchte. An meinem Job schätze ich auch den täglichen Kontakt mit unseren Kaderathletinnen und -athleten. Als ehemalige Leistungssportlerin kann ich mich gut in deren Situationen hineinversetzen und meine Erfahrungen weitergeben. Umgekehrt lerne auch ich viel von den Athletinnen und Athleten. Sie geben mir die Motivation, tagtäglich an den Rahmenbedingungen zu arbeiten und diese zu verbessern.
Welche Rolle hat das Deutschlandstipendium für Sie im Studium gespielt?
Dank des Stipendiums konnte ich mich ohne finanzielle Sorgen auf meinen Leistungssport und den Abschluss meines Masterstudiums konzentrieren, ohne das eine oder andere zu vernachlässigen. Außerdem war ich so ein Stück weit finanziell unabhängig von meinen Eltern.
Wer waren Ihre Fördernden? Hatten oder haben Sie Kontakt zu ihnen?
Mit meiner Förderin, der Stiftung der Ruhr-Universität Bochum, habe ich leider seit meinem Weggang aus Bochum keinen Kontakt. Dennoch denke ich häufig an die Studienzeit und die schöne Verleihungsfeier des Deutschlandstipendiums zurück. Auch bin ich bis heute stolz, zu den ersten fünf Sportstipendiatinnen und -stipendiaten der Ruhr-Universität Bochum im Deutschlandstipendium zählen zu dürfen. Die Universität hat mit der Vergabe ein Zeichen gesetzt, sowohl Leistungssportlerinnen und -sportlern als auch Studierenden mit Behinderungen den Rücken stärken zu wollen und sie wie andere Studierenden gleich(berechtigt) zu behandeln. Ein tolles Zeichen der Wertschätzung und Anerkennung für meine Erfolge!
Heute arbeiten Sie als Referentin für den Deutschen Gehörlosen-Sportverband. Was ist Ihre Aufgabe dort?
Als Leistungssportreferentin liegt mein Schwerpunkt in der konzeptionellen Arbeit und Weiterentwicklung des Leistungssports in unserem Verband. Gleichzeitig bin ich die Ansprechpartnerin für unsere Kaderathletinnen und -athleten und habe ein offenes Ohr für ihre Bedürfnisse und Probleme im sportlichen Alltag. Wenn es die Arbeit im Büro zulässt, verlasse ich auch mal den Schreibtisch und besuche unsere Nationalmannschaften in ihren Trainingslagern. Ich komme gerne mit den Menschen ins Gespräch. Mein beruflicher Alltag ist geprägt von Verwaltungsarbeiten, wie Beantragung der Fördermittel und finanzielle Förderungen unserer Spitzenathletinnen und -athleten.
Wir haben Sie 2018 schon einmal interviewt. Dabei haben Sie ein klares Ziel formuliert: „Ich wünsche mir, nach meinem Studium im Gehörlosensport zu arbeiten, mit dem Ziel, ihn zu professionalisieren und der Öffentlichkeit zu zeigen, dass es nicht nur den Behindertensport, sondern auch den deaflympischen Sport gibt.“ Welche Bedeutung hat dieses Ziel heute für Sie?
Dieses Ziel bedeutet nach wie vor viel für mich. Unser Verband erfährt langsam aber sicher mehr öffentliche Aufmerksamkeit in der nationalen Sportlandschaft. Wir arbeiten eng mit dem deutschen Behindertensportverband zusammen und schaffen Synergien, von denen beide Behindertensportverbände enorm profitieren. Auch versuchen wir, im Verband individuelle Lösungen für unsere Athletinnen und Athleten zu schaffen, damit sie ihren Sport neben Beruf, Ausbildung und Studium ein Stück weit professioneller ausüben können. Unser Ziel ist es, auf Augenhöhe mit anderen Verbänden zusammenzuarbeiten und Gleichberechtigung in der Sportförderung zu erfahren.
Alle vier Jahre treten gehörlose Athletinnen und Athleten aus der ganzen Welt bei den Deaflympics gegeneinander an. Die nächsten Spiele finden 2025 in Tokio statt. Wie blicken Sie auf dieses Ereignis?
Ich bin voller Vorfreude und Spannung. Die Spiele in Tokio wären meine fünften Deaflympics insgesamt. Davon war ich zweimal aktive Sportlerin und seit 2022 bin ich als hauptamtliche Angestellte Teil des Organisationsteams in unserem Verband. Ich kenne beide Sichtweisen, die der Athletin und die der Verbandsmitarbeiterin. Dieser Perspektivenwechsel ist enorm spannend und bereichernd für mich. Vor allem freue ich mich sehr, ein Teil der deutschen Delegation zu sein. Wir wollen unsere Leistungen unter Beweis stellen und zeigen, dass wir sportlich nicht zu unterschätzen sind. Wenn dabei einige Medaillen rausspringen, freue ich mich doppelt – für unsere Athletinnen und Athleten und für den Verband.
Hinter der Geschichte
Vor fast sieben Jahren erzählte uns Felicitas Berger, die damals noch Merker hieß, schon einmal aus ihrem Leben. Hier geht es zum Interview.
Stand: November 2024