Forscherglück und Forschungsförderung
Im Studium eine Forscherkarriere zu beginnen ist ungewöhnlich. Die Deutschlandstipendiaten Sulav Duwal und Mike Urban arbeiten schon jetzt an wissenschaftlichen Problemlösungen. Nobelpreisträger Harald zur Hausen hat lange vor ihnen damit angefangen.
Ein Gespräch über Zukunftsideen, Stipendien und Spitzenleistung
Bereits im Studium eine Forscherkarriere zu beginnen ist ungewöhnlich. Die Deutschlandstipendiaten Sulav Duwal, 28, und Mike Urban, 27, arbeiten schon jetzt an wissenschaftlichen Problemlösungen. Einer der lange vor ihnen damit angefangen hat, ist der Krebsforscher und Nobelpreisträger Harald zur Hausen. Wir haben uns „zusammengeskyped“ und über ganz persönliche Grundlagen der Forschung gesprochen.
Willkommen in der Runde! Sie stecken alle inmitten von Forschungsarbeiten oder Vorbereitungen für Vorträge und sind sehr viel unterwegs. Umso mehr freut es uns, dass Sie heute hier sind und mit uns über ein Thema sprechen, das weniger mit Ihrer Forschung als viel mehr mit der individuellen Forschungsförderung zu tun hat. Was wir aber zuerst von Ihnen wissen wollen: Warum sind Sie Forscher geworden?
Harald zur Hausen: Ich hatte sehr früh ein tiefes Interesse an Medizin und Biologie. Das wurde von meinen Eltern auch sehr stark gefördert. Als Schuljunge habe ich mit Begeisterung Biografien von auf diesen Gebieten bekannten Wissenschaftlern gelesen. Schon damals habe ich mir vorgenommen, einmal auf diesem Sektor zu arbeiten. Mich interessierten alle Fragen, die sich um die Krankheit Krebs ranken. Bei dieser schweren Erkrankung waren noch so viele Probleme offen – sie sind es zu einem großen Teil ja auch heute noch – und daran zu arbeiten, hier zu einer Lösung beizutragen, war ein starker Antrieb für mich.
1972 hatten Sie Ihre erste Veröffentlichung zum Zusammenhang von Papillomviren und Gebärmutterhalskrebs. Ein Vierteljahrhundert später sind Sie mit dem Nobelpreis dafür ausgezeichnet worden. Was hat bis dahin überwogen, die Widerstände oder die Unterstützung?
Harald zur Hausen: Eindeutig letzteres. Als wir zu Beginn der achtziger Jahre die ersten Papillomvirus-Typen entdeckten, die beim Gebärmutterhalskrebs eine entscheidende Rolle spielten, ist die Kurve des Widerstands, den es zu Anfang natürlich auch gab, schnell abgeflacht – auch weil sich weltweit sehr schnell bestätigte, was wir herausgefunden hatten. Ich hatte in den Sechzigern einige Jahre in den Vereinigten Staaten verbracht und bin 1969 erst nach Deutschland zurückgekommen. Ich habe von vornherein viel Unterstützung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft erfahren. Und ich muss sagen, ich bin bis heute dankbar dafür, denn das hat unsere Arbeit in ganz entscheidendem Umfang erleichtert.
Herr Duwal, wir wissen, dass Sie sich seit vielen Jahren schon für ein ganz ähnliches Themengebiet engagieren, nämlich die Prävention von HIV. Wussten auch Sie schon so früh, was Sie einmal machen würden?
Sulav Duwal: Ich habe mich in der Tat als Kind schon für Medizin interessiert und ebenfalls Forscherbiografien gelesen. Sie kamen mir damals vor wie phantastische Geschichten. Selbst in diese Richtung zu gehen oder gar jemandem wie Herrn zur Hausen zu begegnen, war ein unerreichbar ferner Traum. Ich kann es kaum glauben, dass ich hier heute mit Ihnen zusammensitze! HIV ist überall und auch in meiner Heimat Nepal ein großes Problem. Ich habe mich als Schüler dafür interessiert. Aber ich wusste nicht, dass ich später auch einmal zu diesem Thema arbeiten würde.
Harald zu Hausen: Sie haben sich ein sehr interessantes Forschungsgebiet ausgesucht. Auch wenn in der HIV-Therapie große Fortschritte gemacht worden sind, bleibt im Hinblick auf die Vorbeugung solcher Infektionen ja ausgesprochen viel zu tun. Sie stammen aus Nepal?
Sulav Duwal: Ja, ich bin in Kathmandu aufgewachsen und mit neunzehn nach Deutschland gekommen.
Und stand da schon für Sie fest, was Sie studieren würden?
Sulav Duwal:. Nach dem Abitur war ich erst einmal im Zwiespalt. Soll ich Medizin studieren? Oder soll ich Informatik studieren? Mein Vater hätte sich über Medizin gefreut. Meine Eltern haben mich beide immer sehr unterstützt. Sie haben selbst nicht studiert und wollten ihren Kindern eine gute Ausbildung ermöglichen. Arzt ist weltweit ein sehr angesehener Beruf. Mich hat aber auch Informatik gereizt. Und dann habe ich an der Uni Saarbrücken eine Beratungsveranstaltung besucht. Zufällig sprach da jemand über Bioinformatik. Dr. Reinert von der Uni Saarbrücken hatte in diesem Bereich an der Entschlüsselung des menschlichen Erbguts mitgewirkt. Biologisch relevante Fragen durch mathematische Informatikansätze zu lösen, das klang sehr spannend und passend für mich. Und ausgerechnet bei Professor Reinert konnte ich später an der FU Berlin Vorlesungen besuchen.
Was für ein schöner Zufall! Wie war das bei Ihnen, Herr Urban? Sie haben vor Ihrem Studium schon einen Beruf erlernt und auf dem zweiten Bildungsweg Abitur gemacht, um studieren zu können. Was war Ihr Zugang zur Forschung?
Mike Urban: Auch mich hat beides interessiert: Medizin und Technik. Ich wollte etwas Kreatives machen, Neues schaffen und Zusammenhänge aufdecken. Das war eigentlich schon in meiner Ausbildung zum Elektroniker klar. Da ist dieser Traum entstanden, eine Ingenieurswissenschaft zu studieren, mit der Fachrichtung Medizin. Zur Forschung bin ich durch den Bachelor gekommen. Man schaut in so einer Phase ja auch mal bei den wissenschaftlichen Mitarbeitern rein, fragt, was es Interessantes gibt, spricht mit denen. Sie sind ja Experten auf ihrem Gebiet. Und mich hat dann das Thema Stressfrüherkennung gepackt. Dabei geht es auch um das technische Erfassen von Emotionen durch speziell entwickelte Geräte. Das könnte man zum Beispiel zur Überwachung von Komapatienten einsetzen, die sich ja nicht aktiv äußern können. Das ist der Bereich, in dem ich mich jetzt mit meinem Master bewege.
Wer oder was hat Sie am meisten dabei unterstützt?
Mike Urban: Ganz sicher meine Mutter. Obwohl sie am Anfang skeptisch war, als ich von meinen Studienplänen erzählte. Ich bin der erste in der Familie, der studiert. Sie hatte Angst um meine finanzielle Sicherheit. Inzwischen ist das kein Thema mehr. Sie sieht ja, dass ich meine Sache sehr gut mache, die Finanzierung auf die Reihe kriege und ist stolz auf mich. Ich habe meine Mutter zur Vergabefeier des Deutschlandstipendiums mitgenommen, das hat geholfen (lacht). Und natürlich die Menschen, die ich im Abitur und an der Uni kennen gelernt habe. Die motivieren mich und sie treiben mich mit ihren eigenen Erfolgen auch zu höheren Leistungen an.
Professor Dr. zur Hausen, war das Studium für Sie selbstverständlich?
Harald zur Hausen: Nein, ich hatte noch zwei Geschwister, die zum gleichen Zeitpunkt studierten, sodass es für meine Eltern keine leichte Situation war. Aber ich war zutiefst entschlossen, in jedem Fall das Studium durchzuführen, und habe mich von Anfang an darum bemüht, auch die entsprechenden Finanzierungsgrundlagen dafür zu bekommen. Mein Studium ist im Wesentlichen durch Stipendien finanziert worden nach dem so genannten Honnefer Modell.
Ein Vormodell des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (BAföG).
Harald zur Hausen: Genau. Man musste dafür zwischenzeitlich noch Prüfungen ablegen, aber im Grunde war das Programm sehr großzügig und ich konnte mein Studium finanzieren.
Werden junge Menschen in der Forschung ausreichend gefördert?
Harald zur Hausen: Ich meine, dass jeder eine optimale Chance erhalten sollte, seinen eigenen Begabungen nachzugehen. Wir haben ja nun glücklicherweise unterschiedliche Begabungen in der Gesellschaft, und die sollten entsprechend gefördert werden. Darum bewerte ich das Deutschlandstipendium als außerordentlich positiv. Das ist eine sehr schöne Entwicklung, die hier stattfindet. Ich sehe ein weiteres Problem in Deutschland: Junge begabte Nachwuchsforscher werden sehr früh gedrängt, sich bestimmten erfolgversprechenden Forschungsgruppen anzuschließen. So erreichen bestimmte Forschungsrichtungen eine enorme Dominanz, während vieles andere, das sich durchaus interessant entwickeln könnte, an den Rand gedrückt wird. Das ließe sich durch mehr Freiraum und Gestaltungsfreiheit gerade in jungen Jahren sicher ein wenig beheben.
Mike Urban: Ja, das kann ich bestätigen. Forschungsarbeiten werden in der Regel ja nur dann betreut, wenn sie in die Fachrichtung der Betreuer gehen und damit einen Vorteil für ihre Arbeit haben. Das ist das Schöne am Deutschlandstipendium: Es schafft ein bisschen finanzielle Freiheit.
Sulav Duwal: Dazu muss ich sagen, dass das Mentoring-Programm für mich beim Deutschlandstipendium wichtiger war als die finanzielle Unterstützung. Dieser Austausch mit Menschen außerhalb der Universität über Forschung und Karriereplanung hat mich weiter gebracht. Das fand ich wirklich toll.
Mike Urban: Das war auch bei mir so. Man bekommt Einblicke in die Praxis, die die Uni nicht bieten kann. Und man trifft auf andere Deutschlandstipendiaten, auch aus anderen Fachrichtungen. Viele engagieren sich ehrenamtlich neben dem Studium – das spornt an und man lernt eine ganze Menge voneinander. Bei dem Programm geht es ja auch um sehr viel mehr als um Spitzenleistung oder perfekte Noten.
Was bedeutet Ihrer Meinung nach eigentlich Spitzenleistung?
Sulav Duwal: Im Studium glaubt man anfangs, es sind die Noten. Dabei geht es um etwas anderes. Es gibt einen schönen Satz von Chris Anderson, den ich sehr mag: Passion is a proxy for potential. Spitzenleistung ist immer mit Leidenschaft verbunden.
Harald zur Hausen: Da muss ich Ihnen Recht geben. Spitzenleistung misst sich eher an der Fragestellung, ob man mit originellen Ideen wirklich etwas bewegt, kreative Ansätze verfolgt und sich nicht beirren lässt.
Mike Urban: Ich glaube auch, dass man für sein Thema brennen und auch mal gegen den Strom schwimmen muss. Herr zur Hausen, darf ich Sie noch etwas fragen? Man hat es ja in der Forschung relativ oft, dass es mal nicht so voran oder sogar ein paar Schritte zurückgeht.
Was motiviert einen dann am meisten, weiter zu machen?
Harald zur Hausen: Mir hilft da mein westfälisches Erbe (lacht). Über die Westfalen wird ja gerne gesagt, dass sie etwas dickfellig seien und eine gewisse Hartnäckigkeit aufweisen. Sie müssen damit rechnen, dass hier und da immer mal auch Ihre „Peers“ Einwände haben und Ihre Ergebnisse möglicherweise kritischer beurteilen, als sie es von der Sache her verdienen. Da brauchen Sie dann neben der Überzeugung, dass Sie auf dem richtigen Weg sind, Durchhaltevermögen, Durchstehvermögen und ein, wie soll ich sagen, robustes, dickes Fell.
Herr Prof. zur Hausen, Herr Duwal und Herr Urban, wir danken Ihnen für das Gespräch.
Stand: Februar 2018