„3 Fragen an …“ Nil Berke
Nil Berke kam vor über 65 Jahren zum Studium aus der Türkei nach Deutschland. Heute unterstützt die 87-Jährige als Privatförderin das Deutschlandstipendium. Ein Gespräch über das Ankommen in Deutschland, die lebenslange Suche nach Wissen und das Glück, für internationale Studierende da zu sein.
Nil Berke kam vor über 65 Jahren zum Studium aus der Türkei nach Deutschland. Heute unterstützt die 87-Jährige als Privatförderin das Deutschlandstipendium. Ein Gespräch über das Ankommen in Deutschland, die lebenslange Suche nach Wissen und das Glück, für internationale Studierende da zu sein.
Frau Berke, Sie sind vor mehr als 65 Jahren aus der Türkei zum Studium nach Deutschland gekommen. Wie haben Sie Ihr Ankommen erlebt? Was hat Ihnen geholfen, in der neuen Umgebung Fuß zu fassen?
Ich bin 1957 mit sechs männlichen Studienbewerbern mit dem Zug von Istanbul nach München gereist – und kam mitten in der Faschingszeit an. Uns hat gewundert, wie leicht bekleidet viele Menschen trotz der Kälte waren. Das sind meine ersten Erinnerungen an diese Zeit. In der Türkei hatte ich bereits ein wenig Deutsch gelernt. Nach einem sechsmonatigen Sprachkurs am Goethe-Institut bekam ich die Zulassung für Architektur an der Technischen Universität Braunschweig. Die Stadt gefiel mir zunächst gar nicht – viele Häuser waren kaputt, überall nisteten Tauben. Wie in einem englischen Kriminalfilm! Ich wollte zurück in die Türkei. Aber meine Mutter ermutigte mich, wenigstens für ein halbes Jahr zu bleiben. In diesem halben Jahr knüpfte ich viele Kontakte zu deutschen Kommilitoninnen und Kommilitonen. Sie halfen mir im Studium, luden mich zu ihren Familien ein und unternahmen Ausflüge mit mir in den Harz. Das war eine schöne Zeit und ich habe sehr gerne und schnell studiert.
Nach Ihrem Studium haben Sie über zehn Jahre als Architektin in Hannover gearbeitet. Anschließend waren Sie mehr als dreißig Jahre als Lehrerin an einer Berufsschule tätig. Im Ruhestand haben Sie ein Studium der Religions- und Politikwissenschaft begonnen und erfolgreich abgeschlossen. Wie ist es Ihnen gelungen, sich immer wieder auf Neues einzulassen?
Zu Beginn der 1970er-Jahre kamen viele Kinder der ersten Gastarbeiter-Generation nach Deutschland und strömten in die Berufsschulen. Diese Kinder wuchsen meist ohne ihre Eltern in der Türkei auf und sprachen kein Deutsch. Für viele von ihnen war ich nicht nur Lehrerin, sondern auch eine Art Mentorin. Sie vertrauten mir, weil ich ebenfalls Emigrantin bin, und kamen mit all ihren Fragen zu mir – ob privat oder politisch. Vor allem Fragen zur politischen Lage im Nahen und Mittleren Osten konnte ich oft selbst nicht beantworten. Weil mich die Ursachen der Konflikte in dieser Region interessieren, habe ich im Ruhestand noch ein Studium der Religions- und Politikwissenschaften absolviert.
Heute engagieren Sie sich an der Leibniz Universität Hannover als Privatförderin für das Deutschlandstipendium. Welche Unterstützung können Sie Studierenden aufgrund Ihrer eigenen Biografie geben?
Aus meiner Erfahrung als Studentin und als Berufsschullehrerin weiß ich, wie wichtig Unterstützung für junge Menschen mit Migrationsgeschichte ist. Deshalb habe ich vor über zehn Jahren das Nil-Torhan-Berke-Stipendium ins Leben gerufen, benannt nach meinem verstorbenen Mann Torhan und mir. Der erste Stipendiat war ein Maschinenbaustudent aus Kolumbien. Einmal im Jahr, in der Regel Anfang Dezember, lade ich ehemalige und aktuelle Stipendiatinnen und Stipendiaten zu mir nach Hause ein. Bei Kaffee, Tee und Kuchen sind dann bis zu 15 Menschen versammelt, aus China, dem Iran, Russland, Südkorea oder Syrien. Diese Treffen gehören zu den schönsten Momenten meines Lebens! Das Deutschlandstipendium hat all diesen jungen Menschen ermöglicht, in Deutschland zu studieren und hier anzukommen. Viele von ihnen promovieren heute oder haben gute Jobs gefunden. Damit sich eingewanderte Studierende wohlfühlen und ihr volles Potenzial entfalten, braucht es Austausch, gegenseitiges Verständnis, Wärme und Zuneigung zueinander. Als Förderin möchte ich meinen Teil zu einer solchen Willkommenskultur beitragen.